Wolfgang's Rede bei "Young Euro Classic"

"Ich nehme an, Sie können sich vorstellen, dass es für einen Rockmusiker nicht unbedingt zu den leichtesten Übungen zählt, vor einem solchen Auditorium Reden zu schwingen. Gut, meine Ansagen zu unseren Songs ufern hier und da schon mal zu solchen aus, aber sie haben den großen Vorteil, dass – egal wie gut oder schlecht es mir gelingt den Leuten etwas zum nächsten Stück zu erzählen – der Song selbst immer als rettendes Ufer in Reichweite ist.

Als ich gefragt wurde, ob ich für diesen Abend die Funktion eines Paten übernehmen würde, stellte sich somit nach meiner Zusage als erstes die Frage, wie ich mich denn wohl zugunsten meines Redebeitrags am besten selbst überlisten könnte. Ich habe hin und her überlegt, bis mir eins unserer alten Stücke einfiel, das wir seit 1981 schon gottweisswo gespielt haben. Es heisst „Jupp“ und handelt von einem Penner, der sich mit Lügengeschichten durch sein erbärmliches Leben zu mogeln versucht. Geschrieben hatte ich den Song, als wir noch als rein regionale Band an jeder Steckdose im kölschsprachigen Raum auftraten und nicht im entferntesten daran zu denken war, dass ich Jupp’s Geschichte sechs Jahre später neunmal vor jeweils 18 000 Chinesen singen würde.

Die darin enthaltene Zeile von der „blonden Fee aus Peking“ hat natürlich niemand verstanden. War auch nebensächlich, denn zunächst galt es zu kapieren, was Rock’n’Roll ist. Denn die Beatles, die Rolling Stones und sogar der Name „Elvis“ sorgten im China des Jahres 1987 noch für ausschließlich ratlose Mienen. Und trotzdem hat sich über unser improvisiertes Bühnenverhalten und über unsere Musik – weit und breit keine Spur von Choreographie und auch in Puncto „schöne Stimmen „ Fehlanzeige – vermittelt, worum es ging: Es hatte irgendwas mit Freiheit, Zusammengehörigkeit und Respekt zu tun. Und das war zwei Jahre vor dem „himmlischen Frieden“ denen, die sich gewagt hatten, uns als erste westliche Rock’n’Roll -Band nach China einzuladen, Wind auf ihre Mühlen.

Wir haben jedenfalls nach unserer China-Tour sogar noch den Äquator gekreuzt, über den Jupp an einer anderen Stelle des Liedes balanciert – um in Mosambik zu spielen. Sinn der Übung war es, deutschen Medien einen Aufhänger zu liefern, ohne den sie nur schlecht über diesen Krieg am Arsch der Welt berichten konnten. Das war lange bevor der Begriff „Quotenkiller Kosovo“ in mein Leben trat, hatte aber irgendwie schon etwas damit zu tun.

Mein Friedenstäubchen habe ich zwar im Laufe unserer Nicaragua -Tour gegen den Begriff „Frieden mit Würde“ eintauschen müssen, aber dennoch bin ich dankbar für alles, was ich auf diesen „Dienstreisen“ lernen durfte. Den größten Horror hatte ich davor, dass mir im Mai 89 ausgerechnet bei der Pointe des Jupp-Songs vor lauter Klos im Hals die Stimme wegbleiben könnte: Wir spielten in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, jener Stadt, die Jupp vorgibt nicht zu kennen, weil ihn das, was er dort als Soldat durchgemacht hatte, letztendlich aus der Bahn geworfen hat.

Warum erzähle ich das alles ? Weil ich nicht daran glaube, „dass sich schon alles von selbst regelt“ und der Überzeugung bin, dass ich als Musiker – ohne mich in diesem Zusammenhang um die albernen Grenzen zwischen E und U scheren zu wollen – alles mir mögliche tun muss, damit die Musik die überlebenswichtigen Werte in Erinnerung rufen kann, auf die man sich so gerne in Sonntagsreden beruft, aber im Ernstfall schulterzuckend in’s Feuilleton-Ghetto abschiebt.

Etwas mehr als eine Flugstunde entfernt wird uns im auseinander fallenden Jugoslawien in grausamster Weise der Begriff „ethnische Säuberung“ veranschaulicht. In einem Land, das für mich in den Siebzigern noch in erster Linie aus dem europäischen Gegenstück zur amerikanischen „Route 66“, einer endlosen Landstrasse namens „Autoput“ bestand, auf der wir uns im Strom der in ihre Heimat fahrenden türkischen und griechischen Gastarbeiter in klapprigen VW-Bussen und schrottreifen Kastenenten, Bob Dylan und Led Zeppelin hörend, in Richtung Sehnsucht bewegten.

Ich weiß auch noch gut, wie ich – noch mal 10 Jahre früher – auf einer Fahrt mit Freunden nach Paris, fassungslos die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges bei Verdun besichtigt habe. Ich glaube, wir können weltweit gar nicht jung genug damit anfangen, mit einander und für einander zu musizieren, auch wenn das natürlich kein Allheilmittel sein kann. Schon allein in diesem Sinne finde ich es bewundernswert, wenn Privatleute neben ihrem Job den Hintern hochkriegen und sich die Mühe machen, rund 2000 junge Musiker aus ganz Europa nach Berlin zu bringen, damit sie hier Musik machen können. Von Island im hohen Norden bis Österreich im Süden, von Portugal und Spanien im Westen bis Armenien und Aserbaidschan im Osten und da sind wir eigentlich schon in Asien.

Ich bin aus vielen Gründen für ein vereinigtes Europa: weil es frühere Erzfeinde wie Deutsche und Franzosen zu Freunden und Verbündeten gemacht hat – weil es den Ländern im Osten eine Perspektive liefert. Und weil ich weiß, wie viel Leid Nationalismus und Rassismus uns allen beschert hat. Dass die beiden Hand in Hand gehen, hat die Geschichte leider oft genug bewiesen. Ich hätte nichts dagegen, wenn im Prozess der europäischen Vereinigung das Nationale immer weniger wichtig würde. Insofern fühle ich mich als Weltbürger, als Europäer und trotzdem in erster Linie als Kölner. Weil ich glaube, dass Zusammenleben in immer globaleren Zusammenhängen nur funktioniert, wenn jeder von uns auch zu seinen Wurzeln steht. Wenn wir – jeder auf der Basis seiner eigenen Identität – so friedlich und konstruktiv etwas miteinander auf die Beine stellen wie das Festival „young.euro.classic“ und wie das „Jeunesses Musicales Weltorchester“, das aus Musikern aus 32 Ländern besteht.

Ich wünsche Ihnen einen gewinn- und genussreichen Abend mit diesem Orchester. Bevor es spielt wird nun der Jugendorchesterpreis der Jeunesses Musicales Deutschland verliehen. Ich bitte dazu Herrn Pierre Goule auf die Bühne."